Die große OP-Lampe taucht den gekachelten Raum in unwirkliches Weiss. Klemmen, Scheren und Pinzetten liegen bereit. An der Wand hängen zwei Abbildungen, die jeder Arterie und Vene im menschlichen Körper ihren lateinischen Namen zuordnen. Zwei Männer sind in dem steril wirkenden Raum. Der eine liegt regungslos auf einem metallenen Tisch in der Mitte. Der andere trägt einen blauen Operationskittel. Gerade hat er seine Schutzbrille aufgesetzt. Frank Odendahl ist so weit. Er beugt sich zur Hals-Vene des Mannes. Die Behandlung beginnt. Betäubt worden ist der Patient nicht. Und wird dennoch von der mehrstündigen Prozedur nichts mitbekommen. Er ist seit 36 Stunden tot.
Die Behandlung des fachgeprüften Bestatters Frank Odendahl dient weniger dem Wohl des Mannes auf dem Tisch. Es geht um die Angehörigen. "Behalten Sie Ihren Mann lieber so in Erinnerung, wie Sie ihn gekannt haben." Frank Odendahl hält wenig von diesem klassischen Bestatter-Satz, mit dem die Hinterbliebenen davon abgehalten werden sollen, den Toten noch einmal zu sehen. Der Monheimer ist einer von nicht einmal 50 Thanatopraktikern in Deutschland. Er sorgt dafür, daß bei Leichen der Verwesungsprozeß, die Thanatomorphose, verzögert wird. So können die Angehörigen in Ruhe von dem Verstorbenen Abschied nehmen ohne danach von Alpträumen gequält zu werden.
Denn der Tod ist selten friedlich. Nicht nur Unfallopfer sind entstellt. Auch Menschen, die an Herzinfarkt sterben, sind vom verlorenen Kampf deutlich gezeichnet. Bei den meisten Toten sind sogenannte Leichenflecken erste sichtbare Zeichen des Verwesungsprozesses. Gegen den arbeiten Thanatopraktiker. Meistens, um Angehörigen das Trauern zu erleichtern. "Ich habe ein Seminar für Trauerpsychologie besucht. Da wurde erklärt, wie wichtig es für den Trauerprozeß ist, daß der Hinterbliebene den Leichnam noch einmal sieht, um sich des Verlusts bewußt zu werden", sagt Odendahl. Manchmal hat eine thanatopraktische Behandlung ganz pragmatische Gründe. "Wenn zum Beispiel die Oma stirbt und die Angehörigen in China unterwegs und nicht erreichbar sind", so der Bestatter. Nach seiner Behandlung kann der Leichnam mindestens vier Wochen ungekühlt gelagert werden. Darauf gibt es das lizenzierte Siegel, das jeder Thanatopraktiker führt. Das sorgt dafür, daß Ordnungs- und Gesundheitsämter Ausnahmegenehmigungen erteilen. Auch die Bestimmung, daß ein Toter spätestens nach 36 Stunden in eine Leichenhalle überführt werden muß, ist dann nicht mehr zwingend. Wenn die Angehörigen es wünschen, kann ein entsprechend behandelter Leichnam länger daheim aufgebahrt werden. Die Grundbehandlung eines Toten dauert etwa vier Stunden. Sie beginnt mit einer Desinfekti6n. Wichtigstes Gerät ist ein großer Kessel aus Glas und Chrom, der ein bißchen an einen Einkochtopf erinnert. Tatsächlich ist er ein 5000 Mark teures Spezialgerät das - wie die meisten Artikel für Thanatopraxie - aus Amerika stammt. Es hat dieselbe Funktion wie eine überdimensionale Spritze. Denn um den Verwesungsprozeß hinauszuzögern wird das Blut im Leichnam durch eine Formalinlösung ersetzt. In dem Kessel wird die richtige Mischung - etwa ein Prozent Formalin, der Rest Wasser - hergestellt und dann in den Körper gepumpt. Meistens wird die Halsschlagader benutzt, um das Fürmalyn über den Blutkreislauf zirkulieren zu lassen; das Blut tritt an der Hals-Vene aus. Ist der Kreislauf zum Beispiel wegen einer Thrombose unterbrochen, muß Odendahl die Flüssigkeit an entsprechenden Stellen einzeln nachspritzen. Am nächsten Tag beginnt er, wenn nötig, mit der Restauration. Das Gesicht des Toten wird, zum Beispiel nach Fotos, so wiederhergestellt, wie es vorher ausgesehen hat. "Bei Unfallopfern kann das viele Stunden dauern", sagt Odendahl. Mit entsprechendem Aufwand seien 95 Prozent aller Leichname wieder herstellbar. So wurde auch Lady Diana nach ihrem Autounfall in Paris thanatopraktisch behandelt, damit die Familie sie noch einmal sehen konnte. Seine theoretische Ausbildung, in der es vor allem um Anatomie und Gefäßlehre ging, hat Odendahl am Deutschen Institut für Thanatopraxie in Düsseldorf gemacht. Praxiskenntnisse holte er sich in Amerika. Dort werden 95 Prozent der Toten entsprechend behandelt; auch in England (80 Prozent) und Frankreich (30 Prozent) ist die Methode ungleich bekannter als in Deutschland. Hierzulande, wo der Tod das letzte große Tabu ist, setzt sich die Thanatopraxie erst langsam durch. Bestatter Odendahl betont, daß Verstorbene nur auf ausdrücklichen Wunsch und nach ausführlichem Beratungsgespräch thanatopraktisch behandelt werden. "Ich merke an den Dankbriefen, die wir nach solchen Behandlungen bekommen, wie wichtig die Arbeit ist", sagt Odendahl. Knapp 500 Mark kostet die Grundbehandlung. Muß das Gesicht mit gepreßter Watte, Schaumstoff und Wachs nachmodelliert werden, wird es je nach Aufwand erheblich teurer. Frank Odendahl erklärt, warum er sich seine Ausbildung und die Einrichtung des Raums am Monheimer Waldfriedhof viel hat kosten lassen: "Ich finde, die Beziehung zwischen Lebenden und Verstorbenen sollte menschlicher werden."
Rheinische Post Samstag, 10. Juli 1999 Nr. 158
Die große OP-Lampe taucht den gekachelten Raum in unwirkliches Weiss. Klemmen, Scheren und Pinzetten liegen bereit. An der Wand hängen zwei Abbildungen, die jeder Arterie und Vene im menschlichen Körper ihren lateinischen Namen zuordnen. Zwei Männer sind in dem steril wirkenden Raum. Der eine liegt regungslos auf einem metallenen Tisch in der Mitte. Der andere trägt einen blauen Operationskittel. Gerade hat er seine Schutzbrille aufgesetzt. Frank Odendahl ist so weit. Er beugt sich zur Hals-Vene des Mannes. Die Behandlung beginnt. Betäubt worden ist der Patient nicht. Und wird dennoch von der mehrstündigen Prozedur nichts mitbekommen. Er ist seit 36 Stunden tot.
Die Behandlung des fachgeprüften Bestatters Frank Odendahl dient weniger dem Wohl des Mannes auf dem Tisch. Es geht um die Angehörigen. "Behalten Sie Ihren Mann lieber so in Erinnerung, wie Sie ihn gekannt haben." Frank Odendahl hält wenig von diesem klassischen Bestatter-Satz, mit dem die Hinterbliebenen davon abgehalten werden sollen, den Toten noch einmal zu sehen. Der Monheimer ist einer von nicht einmal 50 Thanatopraktikern in Deutschland. Er sorgt dafür, daß bei Leichen der Verwesungsprozeß, die Thanatomorphose, verzögert wird. So können die Angehörigen in Ruhe von dem Verstorbenen Abschied nehmen ohne danach von Alpträumen gequält zu werden.
Denn der Tod ist selten friedlich. Nicht nur Unfallopfer sind entstellt. Auch Menschen, die an Herzinfarkt sterben, sind vom verlorenen Kampf deutlich gezeichnet. Bei den meisten Toten sind sogenannte Leichenflecken erste sichtbare Zeichen des Verwesungsprozesses. Gegen den arbeiten Thanatopraktiker. Meistens, um Angehörigen das Trauern zu erleichtern. "Ich habe ein Seminar für Trauerpsychologie besucht. Da wurde erklärt, wie wichtig es für den Trauerprozeß ist, daß der Hinterbliebene den Leichnam noch einmal sieht, um sich des Verlusts bewußt zu werden", sagt Odendahl. Manchmal hat eine thanatopraktische Behandlung ganz pragmatische Gründe. "Wenn zum Beispiel die Oma stirbt und die Angehörigen in China unterwegs und nicht erreichbar sind", so der Bestatter. Nach seiner Behandlung kann der Leichnam mindestens vier Wochen ungekühlt gelagert werden. Darauf gibt es das lizenzierte Siegel, das jeder Thanatopraktiker führt. Das sorgt dafür, daß Ordnungs- und Gesundheitsämter Ausnahmegenehmigungen erteilen. Auch die Bestimmung, daß ein Toter spätestens nach 36 Stunden in eine Leichenhalle überführt werden muß, ist dann nicht mehr zwingend. Wenn die Angehörigen es wünschen, kann ein entsprechend behandelter Leichnam länger daheim aufgebahrt werden. Die Grundbehandlung eines Toten dauert etwa vier Stunden. Sie beginnt mit einer Desinfekti6n. Wichtigstes Gerät ist ein großer Kessel aus Glas und Chrom, der ein bißchen an einen Einkochtopf erinnert. Tatsächlich ist er ein 5000 Mark teures Spezialgerät das - wie die meisten Artikel für Thanatopraxie - aus Amerika stammt. Es hat dieselbe Funktion wie eine überdimensionale Spritze. Denn um den Verwesungsprozeß hinauszuzögern wird das Blut im Leichnam durch eine Formalinlösung ersetzt. In dem Kessel wird die richtige Mischung - etwa ein Prozent Formalin, der Rest Wasser - hergestellt und dann in den Körper gepumpt. Meistens wird die Halsschlagader benutzt, um das Fürmalyn über den Blutkreislauf zirkulieren zu lassen; das Blut tritt an der Hals-Vene aus. Ist der Kreislauf zum Beispiel wegen einer Thrombose unterbrochen, muß Odendahl die Flüssigkeit an entsprechenden Stellen einzeln nachspritzen. Am nächsten Tag beginnt er, wenn nötig, mit der Restauration. Das Gesicht des Toten wird, zum Beispiel nach Fotos, so wiederhergestellt, wie es vorher ausgesehen hat. "Bei Unfallopfern kann das viele Stunden dauern", sagt Odendahl. Mit entsprechendem Aufwand seien 95 Prozent aller Leichname wieder herstellbar. So wurde auch Lady Diana nach ihrem Autounfall in Paris thanatopraktisch behandelt, damit die Familie sie noch einmal sehen konnte. Seine theoretische Ausbildung, in der es vor allem um Anatomie und Gefäßlehre ging, hat Odendahl am Deutschen Institut für Thanatopraxie in Düsseldorf gemacht. Praxiskenntnisse holte er sich in Amerika. Dort werden 95 Prozent der Toten entsprechend behandelt; auch in England (80 Prozent) und Frankreich (30 Prozent) ist die Methode ungleich bekannter als in Deutschland. Hierzulande, wo der Tod das letzte große Tabu ist, setzt sich die Thanatopraxie erst langsam durch. Bestatter Odendahl betont, daß Verstorbene nur auf ausdrücklichen Wunsch und nach ausführlichem Beratungsgespräch thanatopraktisch behandelt werden. "Ich merke an den Dankbriefen, die wir nach solchen Behandlungen bekommen, wie wichtig die Arbeit ist", sagt Odendahl. Knapp 500 Mark kostet die Grundbehandlung. Muß das Gesicht mit gepreßter Watte, Schaumstoff und Wachs nachmodelliert werden, wird es je nach Aufwand erheblich teurer. Frank Odendahl erklärt, warum er sich seine Ausbildung und die Einrichtung des Raums am Monheimer Waldfriedhof viel hat kosten lassen: "Ich finde, die Beziehung zwischen Lebenden und Verstorbenen sollte menschlicher werden."
Rheinische Post Samstag, 10. Juli 1999 Nr. 158
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